Date: May 24, 2005 at 14:55:47
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Subject: Windige Manöver am Rad
Hallo!
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ALTERNATIVE ENERGIEN
Windige Manöver am Rad
Von Mirko Hackmann
In Norddeutschland wird ein Windkraftwerk nach dem anderen gebaut - die Erweiterung der Stromnetze hinkt hinterher. Schon jetzt wird mehr alternative Energie produziert, als weitergeleitet werden kann. Umweltminister Trittin entwickelt Horrorszenarien von großflächigen Stromausfällen wie in den USA.
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Windkraftrad: Wenn es bläst, reichen die Netze nicht
Hamburg - Spaziergänger an der Nordseeküste haben sich mittlerweile an die riesigen Rotoren gewöhnt. Sie treten meist zu Dutzenden auf und rattern mehr oder weniger laut im Wind. Doch in der letzten Zeit stehen die Räder immer öfter still. Und zwar zunehmend gerade dann, wenn der Wind besonders kräftig weht. Was die Wanderer nur verwundert, ist für die Betreiber ein handfestes Problem: Die Netze im Norden der Republik sind überlastet - durch den Ausbau der Windenergieanlagen. Der Strom kann nicht zum Verbraucher geführt werden, die Räder müssen zwangsweise pausieren.
"Windkraft lässt sich einer bestimmten Klientel gut verkaufen", sagt Hans-Jürgen Haubrich, Energie-Experte an der TU Aachen. "Doch in der Euphorie scheint man vergessen zu haben, dass der Strom nicht in Norddeutschland, sondern in den Ballungsräumen im Ruhr- und Rhein-Main-Gebiet benötigt wird." Um ihn dorthin zu leiten, bedarf es jedoch leistungsstarker Netze, die nicht mal eben aus dem Boden zu stampfen sind. Deswegen kommt es immer öfter zu den Zwangsabschaltungen von Rotoren. Haubrich hat bereits in einer Studie auf das Problem hingewiesen, die er für den Stromkonzern E.ON erstellt hat. Er selbst bezeichnet sich als Freund der Windkraft.
Studie: 1,1 Milliarden für Netzausbau nötig
2004 gab es in Deutschland 16.453 Windenergieanlagen, alle zusammen kamen auf 16.629 Megawatt Leistung. Zwischen 2015 und 2020 will die rot-grüne Bundesregierung den Anteil der Windenergie an der Stromversorgung noch weiter hochschrauben - auf mindestens 14 Prozent am Gesamtverbrauch. Dafür müssten rund 400 Kilometer des vorhandenen Verbundnetzes verstärkt und rund 850 Kilometer neu gebaut werden - so steht es in einer Studie der Deutschen Energie Agentur, die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit mitfinanziert wurde. Die Kosten des Ausbaus beziffern die Verfasser auf 1,1 Milliarden Euro.
Bundesumweltminister Jürgen Trittin wirft den Stromkonzernen vor, den nötigen Ausbau zu verschleppen. "Die Elektrizitätswirtschaft ist der Blockierer", keilte er jüngst im Gespräch mit der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" los. "Wir wollen keine Zustände wie in Italien oder den USA mit massenhaften Netzausfällen. Die werden wir aber kriegen, wenn wir in diesem Jahr nichts tun", sagte der Minister an die Adresse vor allem der Konzerne E.ON und Vattenfall . Beide sind in Norddeutschland stark vertreten, entsprechend tragen ihre Netzte die Hauptlast der per Wind erzeugten Energie.
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Strommasten: Auch Befürworter alternativer Energieformen wollen keine zusätzlichen Überlandleitungen
"Der Minister zäumt das Pferd von hinten auf", sagt Hans-Jürgen Haubrich zur Kritik Trittins. Der TU-Professor glaubt, dass die Regierung nur nach einem Sündenbock sucht. Auch Stephan Kohler, Geschäftsführer der Deutschen Energie Agentur, nimmt die Stromkonzerne in Schutz. "Vattenfall und E.ON haben bereits mit konkreten Planungen für den Netzausbau begonnen", sagt er. Eine Blockade könne er "nicht feststellen". Massenhafte Netzausfälle, wie Trittin sie an die Wand malt, hält Kohler für unrealistisch: "Das dichtmaschige deutsche Netz ist zwar für die Kunden nicht ganz billig, zugleich ist es aber das beste in Europa", sagt er.
Die Konzerne und ihre Lobbyisten klagen nun laut über den Ausbau, der ihnen von der Politik abverlangt wird. Nach dem Erneuerbare Energien-Gesetz sind die Netzbetreiber zur Abnahme und Weiterleitung des Windstroms verpflichtet - doch "notwendig werdende Netzverstärkungskosten muss der Netzbetreiber zu 100 Prozent selber tragen", so das Gesetz. Schon jetzt muss E.ON in Schleswig-Holstein neue Überlandleitungen für rund 60 Millionen Euro bauen, um den Strom der ständig wachsenden Zahl von Windmühlen-Betreibern abzutransportieren.
Am Ende zahlt immer der Kunde
"800 bis 1000 Kilometer Leitungen in zehn Jahren zu errichten ist völlig utopisch", befindet Haubrich. Er erwartet zudem eine Flut von Privatklagen von Grundstückseigentümern. Auch Befürworter alternativer Energieformen wollten aus Liebe zur Windkraft keine riesigen Strommasten vor die Nase gesetzt bekommen, glaubt der Professor.
Die Strom-Multis werden nun versuchen, die Kosten des Ausbaus an die normalen Stromkunden weiterzureichen. Die Agentur für Energie erwartet für private Haushalte im Jahr 2015 Mehrkosten von nur 0,39 bis 0,49 Cent je Kilowattstunde - der aktuelle Durchschnittspreis liegt bei rund 17 Cent pro kWh. Windkraftgegner sprechen hingegen schon jetzt von Preissteigerungen in Höhe von 2,4 Cent pro kWh. Egal wie man rechnet - die Kosten werden ungleich verteilt sein. Die Betreiber dürfen die Kosten für Netzausbau nicht bundesweit auf die Endkunden umlegen. Die Folge: regionale Preisverzerrungen. Die Kunden im Norden zahlen die Zeche für die Stromabnehmer im restlichen Deutschland.
Energie-Experte Haubrich sieht noch weitere Belastungen auf die Unternehmen zukommen. Durch die Errichtung von Offshore-Windparks will Trittin bis 2025 neue Windräder mit einer Leistung von bis zu 25.000 Megawatt ans Netz bringen - das entspräche der Leistung von etwa 20 herkömmlichen Kraftwerksblöcken. Dafür aber sind die norddeutschen Netze aber erst recht noch nicht ausgelegt. Nach Berechnung des Professors werden sich die zusätzlichen Kosten allein für E.ON spätestens bis 2016 auf rund 850 Millionen Euro pro Jahr hochschrauben. Bezahlen werden wohl wie immer die Kunden.
Gruß Rhanie.
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