Date: July 27, 2005 at 14:40:47
From: Hans Fürthbauer, [n734p002.adsl.highway.telekom.at]
Subject: Hier ist die Antwort, Hajo ...
Hallo Hajo,
endlich komme ich dazu, Deine sehr präzise formulierten Fragen fertig zu beantworten. Ich würde mir wünschen, ebenso präzise Antworten geben zu können. Leider ist das nicht möglich.
In meinem ersten Beitrag hatte ich ja schon auf die Komplexität des Förder- und Einspritzvorgangs hingewiesen. Deswegen müßte man für exakte Antworten die gesamte Einspritzausrüstung im Detail kennen und selbst dann gilt eine Aussage nur für einen definierten Betriebspunkt. Besonders die mechanisch geregelten Systeme sind da sehr schwer beschreibbar. Denn kleinste "Optimierungen" an einem Bauteil bewirken am Gesamtsystem oft unerwartete Ergebnisse. In Summe gesehen, ist daher so ein Einspritzsystem eine Folge von vielen Kompromissen. Danach wurde bei der Auslegung solange gesucht und getüftelt, bis es zufriedenstellend funktioniert hat! Weil das Wort "Kompromiß" unter Technikern nicht gut klingt, sagen manche Fachleute dazu "Einspritzgesetz". Es ist auch so, wie bei einem Gesetz: Jede Abweichung hat irgendwann Folgen.
Hier ist meine Stellungnahme mit einer stichwortartigen Formulierung Deiner Fragen.
1.) Elastizitäten des Einspritzsystems? Ja, das ist so. Je höher die Drehzahl des Motors (besonders unter Last) ist, desto schneller muß die Pumpe den von Dir per Gaspedal angeforderten Kraftstoff fördern. Und desto ausgeprägter ist dieses "Aufblasen" des Systems, weil die Düsen da als Drossel wirken und den von der Pumpe geförderten Kraftstoff nicht wegbringen. An den Einspritzleitungen kann man das Aufblasen bei laufendem Motor zwischen Daumen und Zeigefinger prima fühlen.
Ein weiterer Effekt ist die Kompressibilität des Kraftstoffs. Je größer die Totvolumina in der gesamten Einspritzanlage und je höher die Einspritzdrücke sind, desto stärker wirkt sich dieser Effekt auf den Einspritzverlauf aus.
2.) Maximum des Einspritzdrucks und max. Kräfte? Der Düsenöffnungsdruck hat darauf selbstverständlich einen Einfluß.
Beispiel: Bei Vollgasstellung Deiner Pumpe ergibt sich eine definierte Einspritzmenge. Wenn wir noch eine konstante mittlere Drehzahl annehmen, dann ist auch der Förderbeginn konstant. Damit haben wir einen bestimmten Betriebszustand. Erhöht man jetzt den DÖD, verlagert sich bei gleichem Förderbeginn der Pumpe der Spritzbeginn an der Düse nach spät, aber das Förderende an der Pumpe bleibt gleich. Der zwangsweise aus dem Pumpenelement verdrängte Kraftstoff bläst das System dann eben weiter auf, als vorgesehen. Wie schon oben unter 1.) erläutert. Das führt klarerweise auch zu höheren Kräften, je nach Betriebszustand.
Außerdem kann ein veränderter DÖD (nach hoch oder auch nach niedrig) die gerne genutzte Funktion einer Einspritzdruckerhöhung über Einspritzleitungen und Düsenhalter durch den "Brandungswelleneffekt" verändern. Oder, falls nicht vorgesehen, herbeiführen. Daraus kann eine weitere Druckerhöhung (oder bei Verstimmung des Druckwelleneffekts) auch eine Druckabsenkung entstehen. Beides stört zusätzlich zum veränderten DÖD das Einspritzgesetz. Mir ist nicht bekannt, ob bei Deinem Motor dieser Druckwelleneffekt genutzt wird, hab ihn aber der Vollständigkeit halber erwähnt.
3.) Die Frage ist mit 2.) schon beantwortet, denke ich.
4.) Die Kräfte in der Einspritzausrüstung? Sowohl höhere mittlere als auch höhere max. Drücke (Kräfte) gegenüber der Auslegung verkürzen statistisch die Lebensdauer der Einspritzausrüstung. Wenn es gelegentlich gut geht, spielen die Betriebsbedingungen und die Exemplarstreuungen der Einspritzausrüstung eine positive Rolle.
5.) Lagerstellen Rollenstößel und hydrodynamische Schmierung? An den Rollenstößeln gibt es keine "Lager" im herkömmlichen Sinn. Daher auch keine großartigen hydrodynamischen Effekte. Die Rollen drehen sich einfach auf den Rollenbolzen. Die Kontaktflächen sind feinstgeschliffen. Für beide Teile wird Wälzlagerstahl verwendet. Dazwischen ist Motoröl. Das ist ohnehin im Triebwerk reichlich vorhanden, denn die Reihenpumpe hängt ja an der Druckumlaufschmierung des Motors. Die Wälzlager der Nockenwelle (antriebsseitig Rollenlager, reglerseitig Kugellager) "schwimmen", so wie die Nockenwelle geradezu im Öl. Da sehe ich schmierungstechnisch keine Gefahr, in keinem Betriebszustand.
Außerdem ist der Förderdruck der Pumpe drehzahlabhängig. Niedrige Drehzahl ---> niedrigerer Druck. Bei Startdrehzahl (ca. 100 U/min. an der Pumpe) sind die Leckverluste am Pumpenelement noch verhältnismäßig groß. Der Startvorgang ist zudem in Sekunden beendet. Die Startdrehzahl ist meiner Einschätzung nach die unkritischste Drehzahl im Betriebsbereich.
6.) Eine Verdreifachung des Düsenöffnungsdrucks? Die Bosch PES 4 M 55-Pumpe, die Du hast, hat ein einseitig "offenes" Alu-Gehäuse. Im Gehäuse befinden sich sowohl der Antrieb, als auch die Pumpenelemente. Das Gehäuse ist auf der Motorseite geschlossen. Auf der Förderpumpenseite hat es einen abnehmbaren Deckel, daher spricht man bei dieser Pumpe von "offener" Bauweise. Durch diese Konstruktion ergibt sich bei hohen Drücken durch die Förderkräfte ein gewisses einseitiges Aufbiegen des Gehäuses. Deswegen packen diese Pumpen keine so hohen Drücke, wie eine Verteilerpumpe. Die zulässigen pumpenseitigen Spitzendrücke der M-Pumpen liegen bei den bis zum Auslauf verbauten Pumpen bei ca. 500 bar, bei den älteren nur bei ca. 400 bar. Es entsteht beim 3-fachen DÖD allein dadurch eine Beanspruchung, die sich in der Nähe des max. zulässigen Drucks bewegt. Die sonstigen hydraulischen Effekte nicht berücksichtigt.
Ein weiterer Punkt ist, daß durch die bei diesen Pumpen nur einseitig angebrachte Steuerkante mit Stopnut bei hohen Drücken eine erhebliche Seitenkraft auf den Elementkolben entsteht, die einen Fresser verursachen kann.
Bei so einer DÖD-Steigerung muß man auch noch den Einfluß der Entlastungsventile mit betrachten. Die haben die Aufgabe, nach Förderende die Einspritzleitungen um einen gewissen Betrag druckmäßig zu entlasten, um ein schnelles Schließen der Düsennadel zu gewährleisten. Diese Druckabsenkung wird vom Volumen des Entlastungskolbens bestimmt. Der Entlastungskolben ist exakt auf die Einspritzausrüstung ausgelegt. Erhöht man den DÖD, dann erhöht sich auch der "Standdruck" in den Einspritzleitungen. Das heißt, daß die Pumpe bereits bei Förderbeginn gegen den höheren Standdruck in den Druckrohrstutzen, in den Leitungen und im Düsenhalter arbeiten muß.
Neben den oben genannten Aspekten zum Gehäuse und zum Elementkolben kommt da noch eine Biegebeanspruchung der Pumpennockenwelle dazu. Das kann an den Nocken und den Rollen zu "Kantenträgern" mit hoher Flächenpressung führen. Da hilft dann auch das reichlich vorhandene Öl nicht mehr.
Das Beschädigungspotential, nach dem Du fragst, kann ich nur aufzählen, aber nicht seriös im Detail einschätzen. Sicher ist für mich, daß der 3-fache DÖD den Pumpenantrieb (die Kette in Deinem Fall) durch hohe Spitzenmomente, die Pumpe (Nockenwelle mit Lagerung, Rollenstößel, Elementkolben), die Einspritzleitungen und die Düsenhalter erheblich belastet und jedenfalls einem der Teile zum kurzfristigen Tod verhilft.
7.) Düsennadel blockiert? Gute Frage, denn das ist der Extremfall. So einen Fall hab ich mal bei einem Motor mit Verteilerpumpe gehabt. Es war die Düsennadelspitze abgebrochen und steckte im Spritzloch der Drosselzapfendüse. Der Motor war logischerweise in seinem Laufverhalten und im Drehmoment auffällig, es fehlte ihm ein Zylinder. Er wurde in diesem Zustand ca. 1,0 Stunde am Motorenprüfstand betrieben. Die detaillierte Befundung der Verteilerpumpe ergab keine Hinweise auf irgendeine Schädigung.
Jetzt kann ich das nicht ohne weiteres auf Deine PES 4 M 55-Reihenpumpe übertragen, denn konstruktiv und von der Druckauslegung her gibt es da ja gewaltige Unterschiede. Einschätzung wie unter 6.): "das schwächste Glied" in der Kette geht kurzfristig über den Jordan.
8.) Düsennadelanschlag und Wirkung eines (moderat) erhöhten DÖD im Fahrbetrieb? Ja, die Düsennadel liegt am Anschlag. Ein erhöhter DÖD kann die Zerstäubung des Kraftstoffs verbessern. Daraus kann sich ein geringfügig besseres Drehmoment und ein leichter Rückgang im Verbrauch ergeben. Eben zu Lasten der Einspritzausrüstung, wie oben bereits beschrieben. Bei einer Verstimmung des Einspritzgesetzes können sich auch Fahrverhaltensmängel und Änderungen im Verbrennungsgeräusch ergeben.
9.) Düsennadel beim Start am Anschlag? Die Düsennadel liegt auch beim Start ab einer gewissen Anlaßdrehzahl am Anschlag an der Zwischenscheibe. Der DÖD allein bewirkt ja noch keine Zerstäubung. Es muß ein entsprechendes Kraftstoffangebot da sein.
Wenn Du beim Start des kalten Motors Vollgas gibst, dann stellt sich die Startmenge für einen Kaltstart ein. Bei Deiner Pumpe ist die erheblich höher als die Volllastmenge im Fahrbetrieb. Die Pumpe fördert in diesem Fall ebenfalls deutlich mehr, als die Düsen wegbringen.
Auch dann, wenn Du den warmen Motor ohne Gas startest, stellt Dir der Regler ebenfalls eine Startmenge (Warmstart) ein, die zwar niedriger als die Vollastmenge, aber etwa doppelt so hoch, wie die Leerlaufmenge ist. Daher ist auch beim Start der Einspritzdruck höher als der DÖD. Das macht ja auch Sinn, denn ein "ballistischer" Betrieb der Düsennadel schafft keine geordneten, reproduzierbaren Verhältnisse.
So, dabei belasse ich es mal und hoffe, daß ich Deine Fragen einigermaßen zufriedenstellend beantworten konnte.
MfG Hans F.
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