Date: October 16, 2011 at 17:36:15
From: baffe, [188-195-88-148-dynip.superkabel.de]
Subject: Die Sache mit der Blindleistung
Hi!
Also zum Einen bin ich schon seit bald 20 Jahren aus dem Netz weg und zum Anderen kann ich die Größenordnungen nicht einschätzen. Weder die im Netz noch die der Solargeschichte.
Die Größenordnungen und Maßstäbe sind aber wichtig, schließlich funktioniert im Akkuschrauber einiges was im Elektroauto noch Probleme macht.
Die Blindleistung ist immer ein Problem bei Drehspannungsnetzen ("Wechselstromnetzen").
Ich kann mich erinnern daß eine einseitig zugeschaltete 400kV Leitung durch ihre kapazitive Blindleistung schonmal 150MVAR von der Sammelschiene gezogen hat. 150 MVAR hat z.B. eine Blindlast die bei 150000V einen Strom von 1000A zieht. Das ist kein Kleinkram mehr!
Auch hatten wir im Netz zuschaltbare Ladestromkompensationsspulen (=Drosseln) stehen die derartige Blindleistungen zum Teil kompensieren konnten. Das waren dann ölgekühlte Kupfer- und Eisentrümmer mit um die 100t.
Weiter weis ich, daß Kraftwerke auch Blindleistung erzeugen können indem man mit Erregung und Transformatorstufensteller arbeitet. Allerdings können diese Kraftwerke dann weniger Wirkleistung erzeugen, denn die Maschinen werden durch die sogenannte Scheinleistung belastet die sich aus Wirk- und Blindleistung zusammensetzt.
Deshalb ließ man in der guten alten Zeit die Kernkraftwerke eher voll nudeln (billigen Strom erzeugen) und machte die Blindleistungshaltung lieber mit den Kohleblöcken die Kohle ja nur für die Wirkleistung fraßen.
In den USA ging man teilweise so weit daß in Kohlekraftwerken die Generatoren drehten und ausschließlich Blindleistung "machten" während im Kessel schon lange kein Feuer mehr war. Feuer, Dampf und ähnliches braucht ein Dampfkraftwerk nur zur elektrischen Wirkleistungserzeugung. Blindleistung geht (bei synchron laufender Maschine) nur über die Erregung. Ob es derartige Betriebsweisen in Europa jemals gab kann ich nicht sagen. Bekannt ist mir davon nix.
Die Geschichte im Artikel mit den 230V und 232V mag publikumswirksam sein. Überraschend ist sie nicht. Das geht auch mit Bügeleisen und ähnlich großen Lasten. Aber Journalisten kann man halt leicht was vorzaubern...
Für mich persönlich ist das alles Kokolores. Ich halte die Zeit reif für kleine, lokale, überschaubare Gleichspannungsnetze mit intelligenten Kopplungen zu einem überlagerten Drehspannungsnetz hoher Spannung.
Wobei wahrscheinlich mit der Zeit das Drehstromnetz sukzessive auch durch ein Gleichspannungsnetz ersetzt werden kann. Blindleistung ist dann kein Thema mehr. Oberschwingungen auch nicht.
Allerdings gibt es auch hier noch gravierende Probleme denn die entsprechenden Hochspannungsschaltgeräte gibt es für Gleichspannungsnetze meines Wissens noch nicht.
Aber immer nur das bewährte "Drehstromgerümpel" weiterzubauen wird irgendwann nimmer funktionieren.
! da baffe
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