Date: February 22, 2014 at 13:09:17
From: Werner, [p5b378ed0.dip0.t-ipconnect.de]
Subject: Moooment, nicht miteinander verwechseln
Moin Leute,
komme gestern erst vonner Dienstreise und hab unterwegs nicht reingeschaut (trotz modernster Technik mit Klapptop und allem drum und dran)
Rhanie, meinst Du jetzt das Schwungrad mit dem Gegenmoment ? Also meines Wissens läuft das Schwungrad quer zur Kurbelwelle, aber das ist auch ziemlich egal. Das Gegenmoment des Sternmotors beim Drehzahl erhöhen, also Gegenmoment bedingt durch Massenbeschleunigungen, ist nicht größer, als bei vergleichbaren Reihen- oder V-Motoren. Im Gegenteil, die Kurbelwelle kann extrem leicht ausgeführt werden, weil sie nur eine Kröpfung hat. Anders gesagt, wenn ich einen Sternmotor ohne Propeller hochdrehen lasse, reagiert er extrem schnell aufs Gas.
Die Beispiele in JUTJUB könnt Ihr Euch selbst ansehen, da gibt's n Haufen Oppas, die mit ihren aufgeständerten Sternmotoren spielen.
Das Hauptmoment wird durch den Propeller erzeugt. Aufgrund des riesigen Durchmessers und der enormen Festigkeit, die so ein Prop haben muß, kommt da einiges Gewicht zusammen, was beim Hochdrehen starke Momente erfordert. Auch, wenn ich ein Getrieb einbaue, und den Motor rückwärts drehen lasse, bleibt der Propeller die bestimmende umlaufende Masse.
Und in der Tat, da passiert es schon mal, daß ein solches Flugzeug plötzlich ein Beinchen hebt und auf das Flügelende kippen möchte => ein ziemlich uncoole Situation!
Das Anrollen mit Teilgas (ca. 40% Leistung) hat mehrere Gründe:
1. Im Kriegseinsatz soll der gerade gestartete Motor nicht sofort auf volle Leistung gebracht werden. Zum Warmlaufen am Boden ist keine Zeit, die Sirenen heulen !
2. Das Aufregeln dieser Maschinen besteht nicht nur einfach aus "Hebelnachvornschieben" und der Rest geht automatisch oder gar elektronisch. Zwar gab es von BMW einen wildes mechanische Motormanagement-System, aber das mußte auch, wenn es funktionierte, beim Lastwechsel mit überwacht werden.
3. Die Motoren waren selten in so gutem Zustand, daß man es wagen konnte, einfach nur Vollgas zu geben. Wenn beim Hochdrehen Geräusche auftraten oder Flammen zu sehen waren oder fiese Gerüche oder . . . oder . . . dann hat man es lieber gelassen oder gebetet, daß das Ding den Kampfeinsatz übersteht.
4. Die Flugzeuge waren mit ihren Leistungsgewichten ungefähr da, wo Modellflugzeuge angesiedelt sind. Eine Cessna 172 müßte z.B. 500 bis 600 PS haben, um da mithalten zu können. Daraus ergaben sich folgende Schwierigkeiten:
a) Das Drehmoment war so enorm, daß die Maschine schon beim Anrollen auf die Seite kippen konnte
b) Das Fahrwerk wurde auf einer Seite wesentlich stärker belastet und führte zum Drehen des Flugzeuges um die Hochachse. Immerhin hatten die Jungs früher nur selten Betonpisten, sondern mußten mit irgendwelchen Untergründen vorlieb nehmen, wo auch schon mal ein Reifen etwas tiefer einsank, als der andere und schon bremste es an der Seite. Die gutgemeinte Fahrwerksverbreiterung an der FW 190 wurde von den Piloten überhaupt nicht geschätzt, weil sie das Kurvenmoment in so einem Fall noch weiter erhöhte. Die "Schmalspur"-Me 109 war viel einfacher zu beherrschen.
c) Die Schraubenform des Luftwirbels hinter dem Propeller dreht sich um den Rumpf herum und trifft hinten auf das hochstehende Seitenleitwerk. Die Folge ist ein Wegdrehen nach links, was unglücklicherweise auch mit dem erwähnten Linksdrehen durch das Fahrwerk übereinander fällt und sich addiert.
d) nach dem Anrollen und Beschleunigen auf die Geschwindigkeit, wo man das Heck anheben kann und nach vorne Sicht auf die Bahn hat, treten erneut linksdrehende Momente auf, denn der Propeller erzeugt starke Kreiselreaktionsmomente, die genau dann, wenn das hintere Rad abhebt und die Spur verliert, krass wirksam werden. Langsames Heckanheben war also angesagt . Und dabei mit viel Gefühl ins rechte Seitenruder, sonst brach die Kiste nach links weg und es ging in die Botanik. Da die einzigen spurführenden Räder in der Situation VOR dem Schwerpunkt sind, ist das so, wie mit angezogener Handbremse auf Glatteis - nur eben noch unsymmetrischer.
Also mit Motorüberlastung hat das nichts zu tun. Bis dahin ist man beim Start nicht gekommen. Die Leistung hat eh gereicht und es gab zwar so ein paar Helden, die es mit einem noch kürzeren Startweg schafften, aber im 2. WW hat man mit der Pistenlänge meist nicht das Problem gehabt, eher mit der Qualität.
Um die Kreiselmomente klein zu halten und den (kalten) Motor zu schonen, hat man versucht, die Propellereinstellung auf rel. großem Gang zu halten. Dadurch waren dann aber die Motormomente wieder größer. So hat jeder seine eigenen Kompromisse bei dem Flugzeug sich erfliegen müssen - wenn er nicht vorher schon abgeschossen wurde.
Und schließlich noch etwas ganz ganz fieses, was ich selbst höchstpersönlich erlebt habe: Der Start mit unfreiwilligem Kurvenlauf!
Ich saß in einer Extra 300 vorn und dufte mal fliegen. Einen Schein für die Maschine habe ich nicht und das Geld sowieso nicht. Der Einweiser meinte was von Drehmoment und vorsichtigem Anrollen und Sponrad und Seitenruder und . . . und . . .und
Und ich hab selbstbewußt gesagt: Weiß ich, weiß ich, kenn ich alles von den Modellen her ! Und ich versuchs mal.
Jaaaa. . . . und dann bin ich also zur Bahn gerollt. Bester Asphalt, gute Reifenhaftung, kein Wind. Ideale Bedingungen, sollt man meinen. Als Propellereinstellung habe ich nicht die volle Drehzahl gewählt, sondern einen vom Hintermann empfohlenen Wert. Der Typ hatte natürlich die Hände und Füße in den Rudern, um sofort eingreifen zu können.
Dann gings los, erst etwas Adrenalin, dann Gas, es wird lauter, noch mehr Gas, es wird noch lauter, noch mehr Gas, der Propellerregler greift ein und wir rollen vorwärts. Null Problemo, da geht noch was. Also noch mehr Gas, jetzt ist es schon richtig Beschleunigung, heiii !!
Die Extra muß mit viel Seitenruder hin und her auf Spur gehalten werden. Sie ist keine Zicke, aber einmal wegschauen ist schon zuviel. Ich kriegs hin und bin mächtig stolz. Der Einweiser läßt mich machen.
Dann schiebe ich etwas den Knüppel vor, damit das Heck hochkommt. Es will nicht und der Typ sagt: "zuwenig Gas!" Also schiebe ich weiter vor und jetzt geht alles so schnell, daß ich nicht mehr mitkomme: Das Heck geht durch den Propellerstrahl fast ruckartig hoch, die Seitenanströmung verstärkt sich im gleichen Maß. Also: die Kiste bricht mir nach links weg. Nicht sehr stark, aber immerhin. Gleichzeitig beschleunigt der Dampfer jetzt richtig massiv, obwohl von den 300 Pferdchen noch mindestens 100 friedlich auf der Weide grasen.
Die Extra fährt mir nach links weg und ich denke "kein Streß, fängste wieder ein!" Trete kräftig, aber dosiert das rechte Seitenruder noch weiter und das Meisterkunstflugzeug dreht wieder zur Bahnmitte. Was ich nicht bedacht hatte: das Drehmoment hat das linke Fahrwerksbein schon sehr stark belastet, aber nun rollte ich faktisch eine Kurve nach rechts. Die Fliehkraft zusamen mit dem Motormoment ließ den Flieger auf die Seite kippen. Gefühlt war das Flügelende schon am Boden - was aber nicht stimmte.
Panik! Ich will das Gas wieder rausreißen und abbrechen. Der Einweiser hält sofort dagegen und entschäft die Situation mit Querruder und Seitenruder. In dem Moment hebt der Vogel auch schon ab und läßt sich ganz manierlich steuern. Je schneller er wird, desto einfacher geht es und im Verlauf des Fluges freunde ich mich sogar noch an. Aber in die Hose gemacht hätte ich mir doch fast !
Der Einweiser meinte später noch: "Niemals in so einer Situation plötzlich das Gas wegnehmen! Du kippst schlagartig zurück und drehst so schnell nach rechts weg, daß Du keine Chance mehr hast. Das Flugzeug kippt u.U. sogar auf die andere Seite und macht in aller Regel zum Schluß einen Kopfstand, bei dem der Prop und evtl. auch der Motor in die Fritten geht.
Ich bekam noch einen Schulterklopf "hast Dich gut geschlagen!" und das wars für mich erstmal. Hatte ich schon erwähnt, daß ich die Landung nicht selbst gemacht habe ??
Nun ja, wenn ich mir das alles vorstelle mit der sechsfachen Leistung, dann verliere ich schon etwas die Lust am Ausprobieren.
Gruß
Werner
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