Date: January 02, 2005 at 16:59:00
From: Rhanie, [p213.54.50.121.tisdip.tiscali.de]
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,335073,00.html
Subject: Bericht zu Fahrassistenzsystemen inside
Hallo!
Wieder mal ne Fundsache, wenn man selber nix zu sagen weiss muss man halt klauen.
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,335073,00.html
AUTOMOBILE
Zu dumm zum Fahren
Von Christian Wüst
Vom Gurtpiepser zum Müdigkeitsdetektor: Die Autoindustrie bringt Innovationen, die den Menschen am Steuer entmachten - und nerven.
DER SPIEGEL
Aufpasser an Bord
Die Route", sagt der Audi A6, "wird aufgrund aktueller Verkehrsmeldungen neu berechnet." Sein Navigationsgerät empfängt Stauwarnungen aus dem Verkehrsfunk und korrigiert den Kurs.
Im Prinzip ist das erfreulich. Doch die Stimme meldet sich schon zum dritten Mal innerhalb einer Minute. Kann dieses Auto nicht einfach rechnen, ohne zu reden?
Auf dem Beifahrersitz steht eine Aktentasche. Der Fahrer musste sie anschnallen, denn der Audi hatte darum gebeten. Moderne Autos haben eine "Sitzbelegungserkennung".
Im Polster des Beifahrersitzes steckt ein Gewichtssensor. Hält der Automat die Tasche für einen gurtlosen Menschen, ertönt ein nervtötender Warnpiepser. Dem Fahrer bleiben dann drei Möglichkeiten: Er kann das Gepiepse ignorieren (praktisch unmöglich), die Tasche vom Sitz entfernen (lästig) oder (geringstes Übel) die Tasche angurten.
Im Streben nach Perfektion und Sicherheit stoßen Automobile zunehmend in eine Sphäre vor, in der sich der Mensch ebenso gestört fühlt, wie er seinerseits stört. Die Ingenieure haben den Nutzer des Fahrzeugs längst als größtes Problem des Systems geortet und bekämpfen seine Schwächen, wo sie können - also nahezu überall.
Die Kunst dabei ist, den Kunden im Glauben zu halten, er wäre "Herr des Geschehens", wie Mercedes-Chefentwickler Thomas Weber beteuert - während der Fortschritt längst in der fortschreitenden Entmachtung des Fahrzeugnutzers besteht. Saab entwickelt bereits einen "Alcokey" genannten Zündschlüssel, der den Wagen erst startet, wenn eine Pusteprobe den Fahrer als nüchtern ausgewiesen hat.
Doch manche Innovationen sind durchaus sinnvoll, denn der Mensch ist nachweislich zu dumm zum Autofahren: Er kann nicht einmal voll bremsen. Eine irrationale Hemmung hält ihn davon ab, mit aller Kraft auf das Pedal zu treten. Sensoren erkennen an der Hast des Fußtritts die eigentliche Absicht und leiten die Vollbremsung automatisch ein. Die Regelsysteme ABS und ESP verhindern, dass das Auto dabei ins Schleudern gerät. Der "Herr des Geschehens" kriegt davon im besten Fall gar nichts mit.
Längst arbeiten die Forscher auch an der Abschaffung des Auffahrunfalls - durch totale Bevormundung des Fahrers. Radargesteuerte Tempomaten mit Abstandsregelung sind die Vorboten der automatisch eingeleiteten Vollbremsung.
Bisher arbeiten die Geräte maximal mit einem Viertel der verfügbaren Bremskraft - aus haftungsrechtlichen Gründen. Eine Vollbremsung durch Fehlauslösung wäre misslich. Aber das Vertrauen in die Technik wächst. Mercedes wird in der kommenden S-Klasse bereits mit halber Bremskraft eingreifen. Unbedenklich erscheint dagegen der bereits weitverbreitete Regensensor. Allerdings ist er auch völlig unnütz.
Dass der Mensch nicht richtig bremsen kann, ist eine Sache. Mit dem Einschalten des Scheibenwischers ist er gemeinhin nicht überfordert. Hier scheint eher die Automatik Probleme zu haben: Sie reagiert entweder viel zu früh, und die Wischerarme schrappen über fast trockene Scheiben. Manchmal aber ignoriert sie beharrlich auch dichte Regengüsse, bis der Fahrer entnervt zum Hebel greift.
Auch der automatische Lichtschalter, bei vielen Herstellern bereits im Angebot, hat die Sicherheit nicht erkennbar verbessert. Im Gegenteil: Er springt in der Dämmerung erst an, wenn halbwegs umsichtige Fahrer längst selbst die Scheinwerfer eingeschaltet hätten.
Dringenden Bedarf gibt es dagegen für Assistenzsysteme, die einer der gefährlichsten menschlichen Schwächen begegnen sollen: der Müdigkeit. Allein auf deutschen Autobahnen sterben jährlich über 200 Menschen, weil Fahrer einschlafen.
Die derzeit praktikabelste Weckvorrichtung bietet Citroën bereits in zwei Modellen an: Infrarotsensoren unter dem vorderen Stoßfänger beobachten die Fahrbahnmarkierungen. Driftet der Wagen ohne eingeschalteten Blinker aus der Spur, regt sich im Fahrersitz ein nachdrücklicher Rüttelalarm.
Der Hallo-wach-Sitz kann jedoch nur helfen, wenn der Fahrer vor dem Einschlafen daran gedacht hat, ihn einzuschalten. Ein Dauerbetrieb ist bisher nicht möglich, denn Fahrten auf Landstraßen gerieten dann unvermeidlich zum Massage-Marathon. Doch auch ein Auto, das Schläfrigkeit des Fahrers erkennt und dann unweigerlich das Wecksystem aktiviert, ist schon vorstellbar. In einem Forschungsprojekt mit Psychologen der Universität Würzburg entwickelte BMW eine Infrarotkamera, die die Augen des Fahrers beobachtet und am Lidschlag den Müdigkeitsgrad erkennen kann.
Die Technik wäre längst reif für die Serienentwicklung. Doch BMW zögert. Das oft beteuerte Markencredo, den Menschen "nicht entmündigen" zu wollen, wäre endgültig ad absurdum geführt, wenn das Auto seinem matten Fahrer in den Hintern zwackt. "Der Kundennutzen", erklärt eine Firmensprecherin, "ist nicht wirklich greifbar."
Gruß Rhanie.
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