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Date: March 22, 2005 at 19:58:11
From: baffe, [wden-d9b97a05.pool.mediaways.net]
Subject: Bin ich nimmer auf dem laufenden?

Hi Andi,

>also Kernkraftwerke lassen sich bedeutend besser und schneller regeln als so ne Kohlenmühle.

Das halte ich für ein Gerücht bzw eine Schulbuchweisheit. Weder ist es schneller, noch ist es besser zu regeln, NOCH TRAUT SICH JEMAND DAS ZU TUN!

Für ein Wasserkraftwerk eine Pflichtübung. Wird durchaus auch gemacht zur Netzhaltung.

Ein Kernkraftwerk ist nicht in der Lage im Minutenbereich seine Leistung nennenswert zu ändern. Das geht auch im Extremfall einer Netzstörung nur mit der Brechstange, mit Hängen und Würgen und VIELLEICHT. So ist es bei einem kompletten, flächendeckenden Netzausfall oberstes Ziel beim Laufenden Kernkraftwerk sich im Eigenbedarf zu fangen.

Darunter versteht man, daß sich beim Wegfall der Last das Kraftwerk als Insel selbst versorgt und im Idealfall vor allem weiterläuft. Dazu ist es notwendig die Wirkleistung schlagartig auf einen Wert von etwa 20-30% der vorhergehenden Betriebsleistung zu reduzieren, ohne daß es so große Überschwinger gibt, daß ein Schutzsystem an Generator, Reaktor oder Maschinentrafo dem Zauber ein Ende durch Schutzabschaltung bereitet.

Weil ein Kernkraftwerk aber so schlecht zu regeln ist, gelingt das etwa mit einer Wahrscheinlichkeit von 30% wobei es wenig Sinn macht um 5% zu feilschen. Vor allem auch deshalb, weil man diese Zahlen letztens nicht mehr nennt. Nach den großen Netzzusammenbrüchen über die detaillierte Meßwerte vorliegen z.B. einem in Schweden (ich denke das war in den 80ern) bei denen das kein einziges Kernkraftwerk(!) im betroffenen Netzteil geschafft hat.

In Italien dürfte es ähnlich gewesen sein, sonst hätte der Netzaufbau wohl nicht sooo lange gedauert.

Aber auch im Normalbetrieb läuft ein Kernkraftwerk NICHT auf dem Strich mit der Solleistung dahin wie ein Wasserkraftwerk sondern eiert wie ein altes Auto ohne Stoßdämpfer um den Wunschwert herum. Die Leistung schwankt auch mehr als bei einem modernen Kohlekraftwerk wo sehr schnell Leistung geändert, aber auch recht genau eine bestimmte Leistung gefahren werden kann, notfalls mit Gas oder Ölzusatz, zusätzliche Kohlestaubeinblasung usw. Die Wasserwergln sind da sowieso eine Klasse für sich.

Einer der Gründe dafür, der meines Wissens absolut unabänderbar ist ist das Schwanken des Neutronenstroms im Reaktor, der weder räumlich gleich verteilt (ist auch garnicht gewünscht, aber das ist ein eigenes Kapitel), noch konstant ist! Da wackeln die Werte schon ordentlich, was sich in Summe zwar weitgehend aufhebt, aber nur weitgehend und nicht vollständig. Reine Statistikgeschichte, aber mit n weit weniger als Unendlich.

>Ist auch irgendwie nachvollziehbar, da der Reaktor selbst recht klein ist im Vergleich zu den stockwerkehohen Kesseln aus Rohren in einem Kohlekraftwerk.

Nun ja, soo klein ist weder ein Druckwasserreaktor der 1200MW Klasse noch ein Siedewasserreaktor deutlich unterhalb der 1000MW. Außerdem ist ein Kohlekessel zwar riesig groß und imposant, aber innen eben hohl! Da ist ja fast nur Feuer drin. Und Feuer hat im Vergleich zu Stahl, Wasser, Brennstäben und ähnlichem relativ wenig Masse und Speichervermögen. Ein Kessel wie ich ihn kenne ist ja auch so leicht, daß er nicht steht sondern hängt! Kenne da aber nur wenige.

>Allein die Wärmespannungen die es bei den Rohrkesseln zu beachten gibt erfordert längere An/Abfahrzeiten im Bereich von ca 2 Tagen nach bis Stillstand.

Also vom Braunkohlekraftwerk in Schwandorf weis ich definitiv, daß es die letzten Jahre bis zur Abschaltung teilweise nur wenige Stunden lang am Netz war und oft mit stark wechselnder Leistung zwischen 30 und 95% betrieben wurde. Das was man in Büchern über Kohlekraftwerke zur Grundlastdeckung liest ist weitgehend überholt.

> Dagegen ist ein Kernreaktor kompakt und so leistungsstark, das er vergleichsweise schnell hoch und runter geregelt werden kann, zumindest in den wirtschaftlichen Leistungsgrenzen (sonst würde er sich auch nicht als Schiffsantrieb für U-boote oder Flugzeugträger eignen)

Die "Wirtschaftlichen Leistungsgrenzen" liegen beim in de üblichen Kernkraftwerk zwischen 95% und 99%. Dort wird ein Kernkraftwerk üblicherweise betrieben. Anderes ist mir nicht bekannt, aber wenn Du andere Infos hast. Wenn es sich vermeiden läßt schaltet man das auch nicht ab. Ein U-Boot-Reaktor hat keine 1200MW und es ist fraglich ob er wassermoderiert ist oder Graphit oder sonstwas als Moderator hat. Von solchen Dingern habe ich aber nicht den Schimmer einer Faser einer Ahnung.

Den thermischen Stress haben Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke gemeinsam, nur läßt sich ein verschlissener Kohlekessel zum Schnäppchenpreis reparieren. Das ist im Druckbehälter eines Reaktors nicht der Fall.

! da baffe

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