Date: August 19, 2002 at 22:55:35
From: Hans Fürthbauer, [linzu2-210-89.utaonline.at]
Subject: Re: So einfach ist es nicht und die ISO 900x-Zertifikate sind ein Papiertieger
Hallo Söhnke,
die Kfz-Werkstätten vor Ort und die Mitarbeiter dort verstehen oft nicht, was sich die Ingenieure so alles ausgedacht haben. Daher gibt es ein enormes Kommunikationsdefizit zwischen den Vordenkern, die was machen wollen, den Entwicklern die das, was die Vordenker machen wollten, mit den eigenen Ideen gewürzt an die Zulieferfirmen oder die eigene Fertigung weitergeben und den Leuten in den Werkstätten, die mit der tatsächlichen Realität und den Fehlern, wo immer sie auch entstanden sind, konfrontiert werden.
In vielen Fällen sind daher die Leute in den Werkstätten bei komplizierten Funktionen überfordert und es macht sie auch keiner von den oben zitierten Leuten schlau. Können die vielleicht auch gar nicht mehr, weil die auch wegen der Komplexität spezialisiert sind und nur Teilgebiete perfekt beherrschen, aber selten einen Gesamtüberblick haben.
Der Werks-Kundendienst, der den Werkstätten informationsmäßig vorgeschaltet ist, versucht möglichst viele Informationen von allen möglichen Fachbereichen zusammenzutragen, verständlich aufzubereiten und weiterzugeben. Ob die dann vollständig sind und ankommen, hängt von der Zusammenarbeit mit den Informanten, der Qualität der Aufbereitung, der Informationsvermittlung und von der Qualifikation und Motivation der Empfänger ab. Das wäre nur eine Seite von den vielen Seiten des Problems.
So ist stark vereinfacht der Ablauf in der Autoindustrie. Jetzt weiß ich nicht, wo Du als Ingenieur tätig bist, da kann alles ganz anders sein. Aber im Kfz-Bereich nur die Werkstätten generell zu verprügeln, wie Du es getan hast, ist aus meiner Sicht jedenfalls nicht fair.
Eine andere Seite ist: Von meiner eigenen langjährigen Meistertätigkeit in einer LKW-Werkstatt weiß ich, daß man sich in einer Werkstatt oder im Ersatzteillager noch so abstrampeln kann, es passiert trotzdem ganz selten, daß ein Kunde das bemerkt und anerkennt.
Die meisten Kunden glauben, wenn sie das Werkstattpersonal vorsichtshalber erst mal verbal niederbügeln und Ihren Anspruch auf eine "Kunde ist König-Behandlung" reklamieren, werden sie besser bedient. Das ist ein ganz blöder Irrtum und so bekommen diese "Kunden" auch genau das, was sie verdienen. Denn, "wie man in den Wald reinruft, so schallt es zurück".
Die ISO 900x-Normen hast Du auch angesprochen. Wenn Du wirklich damit zu tun hast, weißt Du, daß es in erster Linie nur um das "Papier" geht: Nutzlose Beschreibungen von selbstverständlichen Abläufen, eine bis ins Perverse gehende "Dokumentenlenkung", Verschwendung von anderweitig dringend benötigten Ressourcen für den ganzen Käse und dazu noch überhebliche Auditoren ohne Praxisbezug.
Daraus resultieren unnütze Zertifikate, die gelegnetlich gerne als "Qualitätsstandard" für ein Unternehmen zitiert werden (vielleicht auch als Rechtfertigung, weil sie halt viel Geld gekostet haben). Ein Unternehmen, das sich heute immer noch auf ISO 900x-Zertifikate beruft, macht sich fast schon verdächtig, die Weiterentwicklung der Qualitätsgedanken (auch im Hinblick auf die Kundenorientierung) verschlafen zu haben.
MfG Hans F.
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